Kanalisation

Editorial des KVV Medien&Bildung für das Wintersemester 2006
Im Rahmen der Förderung von Informations- und Kommunikationstechnologien an den Hochschulen ging es bis vor kurzem meist um die Produktion von so genanntem content. Dieser content konnte von Lehrenden hochgeladen werden und von Lernenden dann wieder heruntergeladen. Manche verstanden dieses Auf und Ab und Hoch und Runter als »eLearning«. Der medientheoretische Hintergrund dafür wurde in den 1940er Jahren von Claude Shannon und Warren Weaver entwickelt. Demnach werden Medien als »Kanäle« verstanden, durch die »Botschaften« von »Sendern« zu »Empfängern« fließen. Als »Kanäle« hatten Shannon/Weaver damals Telefonkabel oder Rohrpostsysteme im Hinterkopf.
In den 1950er Jahren wurde ein neuer Typ von Kanal erfunden. Malcom Mclean, amerikanischer Fuhrunternehmer und offenbar ein ungeduldiger Mensch, kam auf die Idee, die Be- und Entladezeiten seiner LKWs drastisch zu verkürzen durch eine standardisierte Box, die die zu transportierenden Waren enthielt. Diese Box konnte komplett mit einem Kran z.B. von einem Schiff auf einen LKW umgeladen werden. Das sparte eine Menge Zeit. Zum Löschen eines 5.000-Tonnen-Schiffes waren damals noch 60 Schauermänner eine Woche lang mit dem Schleppen von einzelnen Ballen, Säcken, Kisten beschäftigt.
Der heute so genannte TEU, Twenty-foot Equivalent Unit, ist eigentlich ein Kanal im Kanal. Schon seit 5000 Jahren transportieren wir unsere contents durch künstliche Wasserstraßen von »Sendern« zu »Empfängern«, zumeist in »Schiff« genannten Kanälen. Insofern ist der universelle Standard-Beinhalter eigentlich nur eine konsequente Fortsetzung dessen, was man medientheoretisch als »Kanalisation« fassen könnte.
Aber man spricht von der Containerisierung des Güterverkehrs als »logistische Revolution«. Vermutlich nicht zu unrecht. Ohne die Box wäre Globalisierung nur blanke Theorie. Der universelle Beinhalter veränderte weltweit die Produktionsbedingungen fast aller Industrien, die Konsumgewohnheiten der Menschen und das Aussehen von Städten und Häfen. Neue Länder und Regionen begannen zu boomen, Märkte entstanden und die Wahl eines Produktionsstandortes ist dank Container nahezu beliebig, weil der Transport sicher, verlässlich und extrem billig ist.
»Das Mittel zur Beförderung einer Botschaft« ? so Régis Debray ? ist zwar eine »notwendige Durchgangsstelle«, aber medienkulturtheoretisch doch nur das »Erdgeschoss«. Jede mediologische Revolution bringt ihre eigenen »Kupplungen und Schalter« mit sich: Alte Berufe wie der des Schauermanns verschwinden. Die Mannschaften der Schiffe hatten, während die Schauermänner ihr Werk taten, Landgang und prägten währenddessen die Bars und Etablissements der hafennahen Stadtteile. Letztere sind nun touristisch erschlossen. Die Seefahrt kennt keine Romantik mehr.
Die Förderung von IUK-Technologien zielt nun nicht mehr auf content-Produktion. Vielmehr geht es um Infrastrukturmaßnahmen. Containerterminals, Hafenausbau usw. Deshalb hat die Universität Hamburg seit kurzem ein eLearning-Strategie-Papier, das Ziele und entsprechende Maßnahmen für das eLearning bis zum Jahr 2010 beinhaltet (vgl. http://www.uni-hamburg.de/eLearning).
Willkommen zurück an Bord!
Fröhliches Wintersemester wünschen
Torsten Meyer & Timo Meisel
PS: Als Semesterlektüre sei empfohlen:
Debray, Régis (1994): Für eine Mediologie, in: Pias/Vogl/Engell (Hg.): Kursbuch Medienkultur. Stuttgart: DVA 2004, S. 67-75
Levinson, Marc: The Box. How the Shipping Container Made the World Smaller and the World Economy Bigger, Princeton: Princeton University Press 2006

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