Fisch

Editorial des KVV Medien & Bildung, Sommersemester 2002
Eine Pfeife, ein leerer Teller, eine Flasche Sherry ? Medium Dry. Nun ein Fisch. Warum?
Fische, heißt es, seien die einzigen Tiere, die nicht wissen, was Wasser ist. Das liegt daran, dass Fische nur Wasser kennen. Sie bewegen sich ausschließlich in diesem ‚Medium‘. Ein Außen, ein Anderes zu diesem ‚Medium‘ gibt es für Fische nicht. Erst der Wechsel von Wasser und Luft würde das Bewusstsein für die Eigenart des Wassers wecken.
Fische können gar nicht wissen, was Wasser ist, weil es im Wesen des Wassers liegt, bei ständigem Aufenthalt darin, es für das Ganze zu halten.
Das Phänomen ist – auch als pädagogische Herausforderung – seit Platons Höhlengleichnis bekannt.
Hans Blumenberg ist bei seiner Relektüre des Höhlengleichnisses ein – sagen wir mal: didaktisches – Problem aufgefallen. Platon ging davon aus, dass der losgebundene und unter Schmerzen ans Licht, an die Wahrheit geführte Höhlenbewohner wieder hinunter in die Höhle geschickt werden sollte, um da unten dann als Lehrer tätig zu sein. Er soll dort unten die verbliebenen Höhlengenossen darüber aufzuklären, dass sie sich in einer Höhle befinden und sie diese bitte nicht mit der Wahrheit verwechseln sollten.
Genau hier sieht Blumenberg das Problem: »Dass sie sich in einer Höhle befänden und diese einen Ausgang haben müsse, war vor allen Komparativen und Superlativen des Seiendseins, von Urbild- und Abbildverhältnissen, die primitive Wahrheit vor allen Wahrheiten, die den Höhleninsassen zugeführt, mindestens als Behauptung verständlich gemacht werden musste: Eine Höhle als ein Aufenthaltsort unter anderen möglichen…« ((Blumenberg, Hans: Höhlenausgänge, Frankfurt/M: Suhrkamp 1996, 189f)).
Wenn wir das Verhältnis von »Medien & Bildung« in dieser Weise auffassen, wenn wir nicht von den ‚Medien‘ reden als etwas Äußerlichem (von dem man sich auch fernhalten könnte, das man einfach nicht anschaltet zum Beispiel), sondern von dem ‚Medium‘ versuchen zu sprechen, das uns mangels Alternativen notwendig als das Ganze erscheinen muss wie den Fischen das Wasser, dann wird daraus eine echte pädagogische Herausforderung. Blumenberg meint, es bleibt dem Lehrer nur die eine Möglichkeit, »die Imagination einer Höhle zu evozieren« ((ebd.)). Der Plural des Ganzen kann nur in der Form der Imagination gedacht werden.
Wie erklären wir uns Fischen das Wasser?
Torsten Meyer
Jokisch, Rodrigo: Technik und Kunst: Distinktionstheoretische Beobachtungen, in: Weber, Stefan (Hg.): Was konstruiert Kunst? Kunst an der Schnittstelle von Konstruktivismus, Systemtheorie und Distinktionstheorie, Wien: Passagen 1999 (Passagen Kunst), S. 47 – 118, 83f
Platon: Höhlengleichnis. (Politeia, Buch VII), in: Sämtliche Werke, hg. von Ursula Wolff, 4 Bände, Reinbek: Rowohlt 1994, Bd. 2, S. 420 – 427

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